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Fehlerhafte Aufklärung beim Arzt = Anspruch auf Schmerzensgeld?

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Der Artikel beschäftigt sich mit der Frage, wann eine fehlerhafte ärztliche Aufklärung zur Haftung führt und gibt Tipps für Patienten, als Entscheidungshilfe ob die Aufklärung  im konkreten Fall fehlerhaft gewesen sein kann. Zudem gibt es Hinweise dazu, welche Angaben zum Sachverhalt für den Anwalt wichtig sind, damit er  die Aufklärungsfehler in der Klageschrift nachvollziehbar darlegen kann.

Im Vorfeld habe ich in sozialen Netzwerken nachgefragt, was zum Thema Arzthaftung als Blogbeitrag interessant wäre. Auf Google Plus kam die Frage nach einem Anspruch auf die vollständige Behandlungsdokumentation und den Gebühren dafür. Auch diese Frage wird im Folgenden beantwortet.

Doch zunächst:

Wie muss der Patient aufgeklärt werden?

Voraussetzung für eine rechtswirksame Einwilligung in einen operativen Eingriff ist die ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten. Danach ist der Patient zunächst  darüber aufzuklären, was bei der geplanten Maßnahme geschehen soll. Er muss über Risiken, Nebenwirkungen und Folgen informiert werden, die mit dem Eingriff notwendigerweise verbunden sind oder möglicherweise verbunden sein können. Darüber hinaus muss der Arzt auf Behandlungsalternativen hinweisen und dem Patienten die jeweiligen Vor- und Nachteile erläutern.

Ist die Patientenaufklärung nicht ordnungsgemäß erfolgt, tritt die Verletzung der Aufklärungspflicht als selbstständiger Haftungstatbestand neben die Haftung für Behandlungsfehler. In der juristischen Literatur wird teilweise sogar die Ansicht vertreten,  dass die meisten Arzthaftungsprozesse aufgrund von Aufklärungsfehlern gewonnen werden.

Ganz so einfach ist es aber leider nicht:

In den Erstberatungsgesprächen höre ich von Mandanten immer wieder “Das hat mir der Arzt beim Aufklärungsgespräch nicht gesagt, dass so etwas passieren kann, daher ist das Arzthaftung”.

Wenn man dann aber fragt :”Was hätten Sie denn gemacht, wenn man Ihnen gesagt hätte, dass dieser Fall eintreten kann?” kommt oft die Antwort “Dann hätte ich den Aufklärungsbogen auch unterschrieben, hätte ich ja müssen, da es ohne den Eingriff nicht gegangen wäre”.

In diesem Fall hilft die Aufklärungsrüge zur Durchsetzung von Schmerzensgeld leider überhaupt nicht, denn dann greift juristisch die sogenannte hypothetische Einwilligung.

Dieser Rechtsbegriff besagt, dass bei dringender Behandlungsbedürftigkeit davon ausgegangen wird, dass auch bei korrekter Aufklärung trotz Kenntnis der möglichen Schädigung in die Operation eingewilligt worden wäre. Das trifft besonders dann zu, wenn ohne OP mit einem tödlichen Verlauf der Erkrankung zu rechnen wäre. In diesen Fällen sehen die Richter es oft als unglaubwürdig an, wenn der Patient erklärt, dass er dann auf den medizinisch notwendigen Eingriff verzichtet hätte. Dann kann sogar von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden. Dies greift bei vitaler Indikation, wenn ein Verzicht auf die Behandlung medizinisch nicht vertretbar wäre.

Wenn aber noch Zeit für die Einholung einer Zweitmeinung gewesen wäre und dann eine andere Operationsmethode gewählt oder auf den Eingriff verzichtet worden wäre, kann die Sache schon wieder ganz anders ausgehen.

Hierzu ein Beispiel:

Einer meiner Mandanten litt nach einer Katarakt-OP unter Doppelbildern. Gutachterlich wurde im Prozess nachgewiesen, dass aufgrund des vorbestehenden Strabismus und der bei der Voruntersuchung ersichtlichen hohen Anisometropie eine Abklärung des binokularen Sehvermögens erforderlich gewesen wäre. Dann hätte mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 80% festgestellt werden können, dass nach der Operation Doppelbilder entstehen würden.

Im Prozess hatten wir vorgetragen, dass der Kläger bei einer Information über die sehr hohe Gefahr des Entstehens von Doppelbildern noch einmal eine Zweitmeinung eingeholt hätte, ob eine andere Linse gewählt werden kann, um das zu vermeiden. Er hätte den nächsten Augenarzt auch gefragt, wie lange er mit dem grauen Star die Operation noch hätte hinauszögern können, wenn er über sein individuell erhöhtes Risiko des Doppelbildsehens aufgeklärt worden wäre. Schließlich hatte er auch zuvor schon einen weiteren Arzt (die Beklagte) aufgesucht, nachdem bei ihm ein beginnender grauer Star festgestellt und ihm

gesagt worden war, dass eine Operation noch nicht nötig ist. Die Gegenseite hingegen sah gerade darin einen Grund, dass er sich trotzdem hätte operieren lassen, weil er zuvor nicht der Meinung der Klinik vertraute, die ein Abwarten für vertretbar hielt.

Das Landgericht Leipzig stellte in seinem Urteil vom 06.10.2017 (AZ: 08 O 3266/15) klar, dass allein aus der Tatsache, dass der Kläger nachdem eine Klinik zum Abwarten riet, nochmals seine Augenärztin aufgesucht hatte, welche zur Operation überwies, keine hypothetische Einwilligung hergeleitet werden kann. Denn der Kläger traf seine Entscheidung zur Operation ohne Kenntnis der erhöhten Gefahr des Sehens von Doppelbildern. Hinzu kommt, dass die Sachverständigenanhörung im Termin die überzeugende Darlegung erbrachte, dass das Leben mit Doppelbildern auf jeden Fall die schwerwiegendste Folge sei, da es extrem unangenehm ist und dass auf die streitgegenständliche Operation angesichts dieser Gefahr auch hätte verzichtet werden können. Im Falle einer Entscheidung für die Operation hätte dem Kläger im Übrigen geraten werden müssen, das Auge schwächer zu korrigieren.

Diese Entscheidung konnte der Kläger ohne entsprechende Patientenaufklärung nicht treffen. Es sind daher laut Urteilsbegründung keine Anhaltspunkte dafür  ersichtlich, dass der Kläger bei Kenntnis der erhöhten Gefahr des Sehens von Doppelbildern in die nicht zwingend notwendige Operation eingewilligt hätte. Somit führt die fehlerhafte ärztliche Aufklärung zur Arzthaftung und Zuerkennung von Schmerzensgeld.

Wie Sie sehen, ist eine entsprechende Argumentation im Prozess sehr wichtig. Natürlich kann der Anwalt die Aufklärungsrüge rein vorsorglich immer erheben, vielleicht klappt es ja. Besser ist aber ein auf den Einzelfall abgestimmter nachvollziehbarer Sachvortrag, der das Gericht von einem persönlichen Entscheidungskonflikt überzeugt. Denn nur dann, wenn der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die bevorstehende Behandlung möglicherweise eine andere Alternative gewählt oder ganz vom Eingriff abgesehen hätte, trifft den Arzt eine Haftung für Aufklärungsfehler.

Da jeder Fall anders ist, kommt es dabei auch auf eine gute Vorbereitung des Erstberatungsgesprächs durch den Patienten an. Denn die Aufklärungsrüge ist eine persönliche Angelegenheit, die nicht mit Textstellen aus dem Formularbuch bearbeitet werden kann. Sie müssen sich also mit der Thematik, mit möglichen Alternativen und Ihrer eigenen ganz speziellen Situation zum Behandlungszeitpunkt auseinandersetzen und das dann beim Gespräch mit Ihrem Anwalt rüberbringen.

Was kann der Patient beitragen, um die Aufklärungsrüge zu untermauern?

Beschäftigen Sie sich bitte intensiv mit den folgenden Fragen. Versuchen Sie, diese in Stichworten zu beantworten:

  • Gab es ein Aufklärungsgespräch mit dem Arzt?

  • Wurde etwas besprochen, was der eingetretenen Komplikation ähnelt?

  • Wurde das handschriftlich dokumentiert?

  • Wenn nicht - stand es vielleicht im schriftlichen Aufklärungsbogen?

  • Wenn nicht - was hätte ich getan, wenn ich es gewusst hätte und warum hätte ich so reagiert?

  • Gab es überhaupt Alternativen, vielleicht sogar ohne Operation?

  • Wenn nicht - wie lange hätte der Eingriff aufgeschoben werden können?

  • Welchen Arzt hätte ich in dieser Zeit nach einer Behandlungsalternative fragen können?

  • Was hätte ich getan und warum, wenn es tatsächlich keine andere Möglichkeit gegeben hätte?

Rein vorsorglich sollten Sie immer eine Kopie vom schriftlichen  Aufklärungsbogen machen, damit Sie später jederzeit nachschauen können, was Sie da eigentlich unterschrieben haben.

Im Zweifel können Sie später zum Nachweis fehlerhafter Aufklärung aber auch die Behandlungsunterlagen anfordern. Daraus ergibt sich die Frage:

Steht dem Patienten die vollständige Behandlungsdokumentation zu und was kann der Arzt an Gebühren dafür fordern?

Kurze Antwort: Ja, aber….

Der Patient hat nach § 630g BGB ein Einsichtsrecht in die kompletten Behandlungsunterlagen, aber es gibt keinen Anspruch auf Zusendung im Original. Und für psychisch Kranke gilt dieses Recht nur, sofern keine therapeutischen Gründe entgegenstehen.

Einsichtsrecht bedeutet Einsichtnahme in der Arztpraxis oder Klinik. Möchte ein Patient das vermeiden, kann er eine Kopie der Behandlungsunterlagen verlangen, allerdings auf seine Kosten. Neben Portokosten fallen dann nach den  Sätzen des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes für die ersten 50 Seiten 0,50 € pro Seite an und für jede weitere Seite 0,15 €. Diese dürfen auf den erstgenannten Betrag erhöht werden bei sehr aufwändigen Kopien, etwa wenn verschiedene Formate händisch kopiert werden müssen. Für Röntgen-CDs fallen jeweils 5,00 € - 7.00 € an. Nach einem Urteil des OLG Saarbrücken vom 16.11.2016, AZ 1 U 57/16 darf der Arzt verlangen, dass der Patient in Vorkasse geht, zumindest bei Kosten von mehreren hundert Euro, auf die sich das Urteil bezog.

Manchmal treiben Ärzte die Kosten dadurch in die Höhe, dass sie ungefragt einen Befundbericht erstellen, statt einfach nur Kopien zu verschicken. Dafür dürfen sie nach Nr. 75 GOÄ zwischen 7,58 € und 17,43 € verlangen. Das Schreiben sollte in diesem Fall aber auch Angaben zur Anamnese, den Befund und eine epikritische Bewertung enthalten. Diese ärztliche Bewertung kann für die Anspruchsbegründung durchaus nützlich sein. In manchen Fällen kann man sich aber auch des Eindrucks nicht erwehren, dass versucht wird, noch schnell medizinische Einwände gegen Arzthaftungsansprüche zu liefern.

Da diese Kosten im Wege des materiellen Schadensersatzes mit geltend gemacht werden können, lohnt es sich nicht, gesondert gegen den Kostenansatz vorzugehen.

Zwar hat der Arzt nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB dem Patienten zu Beginn der Behandlung die für die Behandlung wesentlichen Umstände, insbesondere Diagnose, voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung und Therapie, zu erläutern, aber der Umfang und die Intensität der erforderlichen Informationen und Beratung richten sich immer nach den Umständen des Einzelfalls. Je dringlicher ein Eingriff in zeitlicher und sachlicher Hinsicht ist, desto begrenzter ist die Aufklärungspflicht.

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